Taurin bei den Hörnern packen: Drei gute Gründe für ein Selbstexperiment.

Written by Lutz Kraushaar

21.06.2023

Taurin

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Mit schöner Regelmäßigkeit entdecken die Medien ein neues Anti-Aging-Wundermittel. Zurzeit wird Taurin diese Ehre zuteil.
Den Anstoß dazu gab eine kürzlich veröffentlichte Studie mit dem Titel “Taurinmangel als Treiber des Alterns” [1].

Üblicherweise versprechen die Medien mehr als die zitierten Studien hergeben, aber diese Studie ist ein Musterbeispiel für methodische Exzellenz

Deshalb will ich hier weder die Euphorie der Journalisten, noch die verschnupften Kommentare medizinischer Bedenkenträger wiederkäuen, die zu Recht darauf hinweisen, dass Taurin-Experimente am Menschen noch fehlen. Sie haben das alles bereits gelesen.

Vielmehr will ich einen ganz anderen Aspekt aufgreifen:

Taurin könnte Ihr sicherer Ausgangspunkt für ein erstes Biohacking Ihrer Gesundheits- und Lebenserwartung werden.

Eine solche Aussage geht mir als methodisch rigorosem Wissenschaftler selten über die Lippen.

Und ganz ehrlich, meine Reflexreaktion auf die ersten Schlagzeilen war der Vorsatz, die üblicherweise unüberbrückbare Kluft zwischen medialem Hype und wissenschaftlicher Wirklichkeit aufzuzeigen.

Aber, wie gesagt, die zitierte Studie ist methodisch so gut, und Taurin ist so attraktiv, dass mein Vorsatz sich schnell ins Gegenteil verkehrte.

Was ist Taurin?

Taurin ist eine Aminosäure. Aminosäuren sind die Bausteine von Proteinen.

Nur, diese Aminosäure findet sich nicht in Proteinen.

Als Molekül ist Taurin für viele zelluläre und physiologische Funktionen unerlässlich, und kommt deshalb in nahezu allen Geweben vor. Ein Mangel an Taurin wird mit Beeinträchtigungen der Herz-Kreislauf- und Muskelfunktion, dem Glukosestoffwechsel, neurologischen Beeinträchtigungen und vor allem mit dem Alterungsprozess in Verbindung gebracht.

Welche Frage sollte die Studie beantworten?

Die Forscher wollten wissen, ob Taurinmangel eine Ursache für das Altern und die mit dem fortschreitenden Altern einhergehende Beeinträchtigung der Gesundheit ist.

Der Grundgedanke hinter dieser Frage ist, dass die Taurinkonzentration mit zunehmendem Alter erheblich abnimmt.

Wie wurde untersucht?

Die Autoren nahmen die als „Markenzeichen des Alterns“ bekannten 9 zellulären Biomarker unter die Lupe [2]. Sie untersuchten, ob, und wie, diese Markenzeichen auf eine Taurin-Supplementierung ansprechen.

Außerdem beobachteten sie die Lebens- und Gesundheitsspanne ihrer Versuchstiere: aus offensichtlichen Gründen Mäuse, nicht Menschen, denn ein Mäusejahr entspricht 25 Menschenjahren. Ohne diesen Zeitraffer müssten wir noch ein paar Jahrzehnte auf die Ergebnisse warten.

Was war das Ergebnis?

Taurin-supplementierte Mäuse schnitten bei allen Alterungsmerkmalen, und bei allen körperlichen Funktionen, deutlich besser ab als ihre nicht-supplementierten Artgenossen.

Und sie lebten länger. Im Mittel (Median) 10-12 % länger. Würde man dies 1:1 auf den Menschen übertragen, dann entspräche das einer Lebenszeitverlängerung um rund 8-10 Jahre.

Somit stellt sich die Frage:

Sind diese Ergebnisse auf den Menschen übertragbar?

Die Forscher wiesen ausdrücklich darauf hin, dass ihre Ergebnisse in keiner Weise darauf schließen lassen, dass eine Taurin-Supplementierung beim Menschen die gleichen Auswirkungen hat.

Aber im Mediengerummel geht die mickrige Erfolgsrate der Übertragbarkeit von Tierexperimenten auf den Menschen gerne unter.

Maus ist nicht gleich Mensch.

Die Erfahrung zeigt, dass mehr als 92 % der an Mäusen durchgeführten Studien nicht auf den Menschen übertragen werden können [3]. Denn erstens ist der menschliche Organismus um Größenordnungen komplexer ist als der einer Maus, und zweitens sind die Stoffwechselreaktionen häufig nicht identisch.

Die Dosis und das Alter.

Die Intervention wurde an 14-Monate alten Mäusen begonnen, und bis zu deren Tod aufrecht erhalten. Auf den Menschen bezogen heißt das: mit 30 Jahren anfangen und dann bis zum Tode Taurin einnehmen. Wieviel?

Bei den Mäusen war es 1 Gramm Taurin pro 1 kg Körpergewicht pro Tag. Übertragen auf eine 75 kg schwere Person, sind das 75 Gramm pro Tag. Rund 50 Jahre lang.

Das ist das 25-fache der Dosis, die bislang an Menschen verabreicht wurde: 3 Gramm insgesamt pro Tag, und das jeweils nur für wenige Wochen [4].

Sollten Sie mit einer Taurin-Supplementierung beginnen?

Das ist natürlich ganz Ihre Entscheidung.

Taurin hat jedenfalls einen einzigartigen Vorteil (im Vergleich zu den meisten Nahrungsergänzungsmitteln): Es gibt (noch) keine empfohlene Obergrenze für die Taurinzufuhr, denn auch für tägliche Dosen von mehr als 3 Gramm waren bislang noch keine Nebenwirkungen feststellbar. Deshalb lieg die offizielle „beobachtete sichere Grenze“ (OSL, observed safe limit) bei 3 Gramm/Tag [5].

Drei gute Gründe, warum Sie einen Selbstversuch wagen könnten:

  1. Es wird nicht schaden: Es sind keine Nebenwirkungen bekannt [5].
  2. Warten ist keine Option: Studien zur menschlichen Gesundheits- und Lebenserwartung dauern einfach zu lange.
  3. Der DIY-Werkzeugkasten für Selbstversuche ist jetzt verfügbar: Mein Team und ich haben das klinische Selbstexperiment für Laien zugänglich gemacht.

 

Der DIY Werkzeugkasten für Selbstexperimente

Ein Selbstexperiment führt man so durch wie ein klinisches Experiment. Methodisch rigoros.

Dafür gibt es eine experimentelle Methode, die N-of-1 genannt wird (das “N” steht für die Anzahl der Teilnehmer an einem klinischen Experiment). N-of-1 ist der von FDA und EMA anerkannte Goldstandard für Einzelfallexperimente.

Mein Team und ich haben diese Methode so operationalisiert, dass sie auch für Laien zugänglich wird. Quasi als Schweizer Messer für individualisierte Lebensstil-Medizin.

Mehr dazu erfahren Sie hier, oder in den 3 kurzen Einführungsvideos auf unserer Startseite www.adiphea.com.

Eine kurze Zusammenfassung finden Sie auch unten im Post Scriptum.

Wenn Sie sich also für einen Selbstversuch mit Taurin entscheiden, und unsere Plattform dafür verwenden wollen, schreiben Sie mir, entweder auf Xing oder LinkedIn, oder schicken Sie mir eine e-mail über unsere Webseite.

Werde ich ein Selbstexperiment mit Taurin durchführen?

Ja! Ich werde mittels N-of-1 mich selbst zur klinischen Studie machen.

Sie wird mir zeigen, ob Taurin eine Auswirkung auf die Gefäßfunktion hat, die wichtigste Determinante des gesunden Alterns.

Sobald ich mit dem Experiment beginne, werde ich regelmäßig öffentlich darüber berichten.

Was ist zu erwarten?

Keine Ahnung, deshalb experimentieren wir ja. Aber die Entdeckung des persönlichen Jungbrunnens würde ich nicht erwarten.

Warum?

Erstens, wegen des Alters: Wenn Sie, so wie ich, jenseits der 50 sind, dann entsprechen wir nicht dem umgerechnet 30 Jahre alten Tiermodell. Ob Taurin auch dann noch die im Experiment beobachtete Wirkung entfalten wird, wissen wir nicht.

Zweitens, wegen der Vegetarier: Vegetarische und vegane  Ernährung liefert kein Taurin. Das kommt nur in Fleisch und Fisch vor. Dennoch scheinen Vegetarier und Veganer nicht früher zu sterben als Omnivoren. Vielleicht ist Taurin also nicht der Schlüssel?

Drittens, wegen der fraglichen Kausalität: Die 9 Markenzeichen des Alterns, die so eindrucksvoll auf Taurin reagierten, sind das, was auf ihrem Etikett steht: Markenzeichen, nicht Ursachen.

Genau deshalb will ich die Wirkung des Taurin auf die Gefäßfunktion untersuchen. Denn die ist einer der wichtigsten Prädiktoren für die zukünftige Gesundheitserwartung.

Zwei Worte zur Vorsicht

Erstens, mit Taurin angereicherte Energydrinks sind KEINE Nahrungsergänzung. Da steckt zu viel Zucker und anderes Zeug drin, das  eher schadet als nutzt.

Zweitens, Anbieter von reinem Taurin finden Sie zwar bei Ihrem bevorzugten Online-Anbieter, aber Nahrungsergänzungsmittel werden weder von der FDA noch von der EMA reguliert, so dass die Taurinkonzentration auf dem Etiketten nicht unbedingt der tatsächlichen Konzentration entsprechen muss.

Loslegen

Wenn Sie Ihren “Biohacking”-Selbstversuch starten wollen, verlinken Sie sich mit mir auf LinkedIn, oder schicken Sie mir eine E-Mail mit Ihren Fragen. Ich werde versuchen, innerhalb von 24-48 Stunden zu antworten.

Das ist jedenfalls besser, als auf das nächste Wundermolekül zu warten, das sicher bald durch die Medien geistern wird.

PS

Das N-Of-1-Protokoll

Jedes Einzelexperiment beginnt mit einer Baseline-Phase (idealerweise 14 Tage), in der keine Intervention erfolgt. Das heißt, dass Sie in den ersten 14 Tagen KEIN Taurin einnehmen.

Während dieser Zeit messen Sie täglich den relevanten Vitalparameter, in diesem Fall die Pulswellengeschwindigkeit (PWV) als sensitiven Parameter der Gefäßfunktion.

Nach den ersten 14 Tagen beginnen Sie mit einer festen Tagesdosis Taurin. Die PWV messen Sie in dieser Interventionsphase (14 Tage oder mehr) täglich weiter.

Unsere Algorithmen zeigen Ihnen, ob Taurin eine Wirkung hat und wie groß diese ist.

Das ist alles.

Wie messen Sie die PWV? Wir arbeiten mit der Firma Withings zusammen, die eine WiFi-fähige Personenwaage entwickelt hat, die während des Wiegens auch die PWV misst.

Die Daten können Sie automatisch in Ihre persönliche Akte auf unserer Plattform übertragen lassen. Die haben wir auf der Architektur einer elektronischen Patientenakte erstellt (und erfüllen damit alle Anforderungen an Datenschutz und Privatsphäre).

PPS

Versuche ich, Ihnen etwas zu verkaufen?

NEIN.

Sie müssen mir nichts zahlen, um an diesem Experiment teilzunehmen.

Als Affiliate Member im Amazon Partnerprogramm erhalte ich eine kleine Provision, sofern Sie den Links zu Amazon in diesem Post folgen und dort entweder Taurin oder die Withings Waage bestellen. Diese Provision wird aber nicht auf den Preis aufgeschlagen.

Warum mache ich das?

Weil ich glaube, dass methodisch geführte Selbstexperimente im Kontext Lebensstilmedizin die Grundlage für gesundes Altern sind.

 

Literaturnachweise

[1]      Singh P, Gollapalli K, Mangiola S, Schranner D, Yusuf MA, Chamoli M, et al. Taurine deficiency as a driver of aging. Science 2023;380:eabn9257. doi:10.1126/science.abn9257.

[2]      Lopez-Otin C, Blasco MA, Partridge L, Serrano M, Kroemer G. The hallmarks of aging. Cell 2013;153:1194–217. doi:10.1016/j.cell.2013.05.039.

[3]      Mak IWY, Evaniew N, Ghert M. Lost in translation: Animal models and clinical trials in cancer treatment. Am J Transl Res 2014;6:114–8.

[4]      Shao A, Hathcock JN. Risk assessment for the amino acids taurine, l-glutamine and l-arginine. Regul Toxicol Pharmacol 2008;50:376–99. doi:10.1016/j.yrtph.2008.01.004.

[5]      Hathcock JN, Shao A. Expanded approach to tolerable upper intake guidelines for nutrients and bioactive substances. J Nutr 2008;138:1992S-1995S. doi:10.1093/jn/138.10.1992s.

 

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