Teil 1: Wie Sie Behauptungen zur Rendite von BGF Maßnahmen kontern.
Was ist wichtig?
Prognosen zur Rentabilität (engl. Return On Investment, ROI) von BGF-Maßnahmen stammen meistens aus voreingenommenen Studien, sind nie übersetzbar auf ein spezifisches Unternehmen, und fast immer maßlos übertrieben. Signifikante Verbesserungen der Mitarbeitergesundheit werden nur selten erreicht.
Warum ist das wichtig?
Weil die Rentabilität als eine der wichtigsten Argumentationshilfen für die Einführung von BGF-Maßnahmen missbraucht wird. Die Folgen sind:
- Fehlinvestitionen in unwirksame Maßnahmen,
- vermeidbare Opportunitätskosten,
- verpasste Chancen für die Entwicklung und Einführung wirklich wirksamer Strategien zum Erhalt der Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten.
Was ist die Lösung?
Eine Evidenz-basierte Neuausrichtung der BGF statt fantasielos zusammengetrümmerter Kurse, Gesundheitstage und Obstkorb-Aktionen.
Faking It: Das Rentabilitäts-Tuning von BGF-Maßnahmen
Die Initiative Gesundheit und Arbeit (iga) schreibt dem prospektiven ROI eine „besondere Bedeutung“ als „Argumentationshilfe“ zu [1] für:
- Externe Berater
- Unternehmensinterne Budgetentscheidungen
- „rationale Allokation von Investitionen“
Und so findet man dann Aussagen wie diese:
„Mindestnutzen von 1:5 für jeden eingesetzten Euro“ für BGF-Maßnahmen.”
So steht es geschrieben in einer von BGF-Flüsterern gern zitierten „Studie“ von Booz & Company (heute PWC Consulting) aus dem Jahr 2004. Die Studie beruft sich auf ein Review von Aldana aus dem Jahr 2001 [2].
Allerdings schreibt Aldana was ganz anderes.
Seinem Review legte er 72 Studien zugrunde. Knapp die Hälfte davon Assoziationsstudien, die den Zusammenhang zwischen Risikofaktoren und Gesundheitskosten untersuchten.
Eine höhere Risikofaktorenbelastung war mit höheren Fehlzeiten und Gesundheitsausgaben verbunden.
Das legt den Umkehrschluss nahe, dass eine Reduzierung der Risikofaktorenlast zu einer Reduzierung dieser Kosten führen dürfte.
Assoziation reicht aber nicht, um einen Ursache-Wirkungszusammenhang aufzudecken.
Wie hoch das Kosten-Nutzen Verhältnis einer das Risiko reduzierenden Intervention sein wird, lässt sich nur mit prospektiven Studien belegen. Die müssen den gleichen Standards genügen, die an alle medizinischen Interventionen angelegt werden.
Dieser Standard heißt „randomisierte kontrollierte Interventionsstudie“ (randomized controlled trial, RCT).
Äpfel Mit Apfelsinen Vergleichen
Von Aldana‘s 72 Studien erfüllte nur eine dieses Kriterium: eine Anfang der 90er Jahre durchgeführte Studie, die die Wirkung einer niedrigpreisigen „Intervention“ auf die Krankheitskosten von Pensionären der Bank of America untersuchte.
Die Intervention bestand aus dem Versand gedruckten Informationsmaterials zu Risikobeurteilung und präventiven Lebensstilmaßnahmen. Den Interventionskosten von jährlich US $ 30,- pro Person stand am Ende der Studie eine Verringerung der Krankheitskosten um $ 164,- gegenüber.
In der Kontrollgruppe stiegen die Krankheitskosten um durchschnittlich $ 15,-/Jahr.
Rechnet man betriebswirtschaftlich korrekt (Nettorendite/Investitionskosten), kommt man auf einen ROI von 5,0 [3].
Und der macht sich sehr gut im Hochglanzprospekt jedes BGF-Evangelisten.
Aus diesem 30 Jahre alten „Experiment“ einen für deutsche Arbeitgeber erzielbaren ROI zu zimmern, ist, um es einigermaßen höflich zu formulieren, verwegen.
Voreingenommene Forscher und andere Qualitätsmängel
Verwegen war aber nicht Aldana, denn der hatte die Schwächen der ROI-Kalkulationen schon damals sehr deutlich angesprochen. Unter anderem auch, dass die meisten Studien von Autoren durchgeführt und publiziert werden, die ein materielles Interesse an der Veröffentlichung positiver Ergebnisse haben.
In der Forschung nennt man diese Voreingenommenheit „Bias“. Sie verhunzt die Interpretierbarkeit der von ihr infizieren Studien. Ich gehe gleich noch darauf ein, denn dieses Bias ist zu verbreitet, als dass man es ignorieren könnte.
Warum werben BGF-Dienstleister mit veralteten Daten? Gibt es denn nichts Aktuelleres?
Doch, gibt’s, aber das sieht wesentlich schlechter aus.
Dass betrieblich organisierte Gesundheitsförderung das Risiko für chronische Erkrankungen entscheidend verbessern kann ist ja unbestritten [4].
Aber alle großen Studien, die nicht von Kursanbietern gefördert wurden, lassen kurzfristig (bis 18 Monate) keine signifikanten Verbesserungen “harter“ Kennzahlen des Geldwertes erkennen, wie Arbeitsunfähigkeit, Entgeltfortzahlungen und Produktivität [5].
Die Kennzahl, die dahintersteckt, aber meist nicht veröffentlicht wird, habe ich in einem Post zu diesem Thema bereits vorgestellt.
Das verhindert die Ermittlung des ROI für präventive BGF-Maßnahmen.
Werden trotzdem ROIs ermittelt, sind diese Ermittlungen meist fragwürdig und/oder fehlerbehaftet.
Eine erst im Juni 2023 publizierte Meta-Analyse betrachtete 138 Studien, die den ROI von BGF Maßnahmen untersuchten [6].
Auffällig war die mangelnde Qualität der Studien. Von den 138 betrachteten Studien waren zwar immerhin 45% RCTs. Aber deren prominenteste Qualitätsmängel waren die hohen Bias, speziell bezüglich der Ergebnismessung, der Verblindung und des Follow-up.
Trotz dieses ROI-Tuning fanden nur 24 der 62 RCTs einen positiven ROI.
Exemplarisch ist die RCT mit der höchsten Qualität (28 von 32 möglichen Punkten):
Die Einführung eines umfassenden Gesundheitsprogramms für die Beschäftigten einer fleischverarbeitenden Fabrik brachte den Beschäftigten keine Verbesserung der Gesundheit, und dem Unternehmen keine Verringerung der Kosten, im Gegenteil [7].
Dabei entsprach der Betrachtungszeitraum von 3 Jahren dem, den BGF-Anbieter ihren Kunden für die Realisierung der versprochenen ROIs in Aussicht stellen.
Die Ergebnisse dieser aktuellen Meta-Analyse sind keine Überraschung. Sie bestätigt die Erkenntnisse einer 2021 veröffentlichten Evidenz-basierten Übersichtsarbeit [8].
Deren Autoren legten strengere Einschlusskriterien an die Auswahl der Studien an. Letztendlich betrachteten sie 31 Studien, die die Auswirkung betrieblicher Gesundheitsförderung auf den ROI der Maßnahmen untersuchten.
Nach der Vereinheitlichung auf die oben genannte Formel zur Berechnung des ROI ergab sich ein Durchschnittswert von 0,38. Das heißt, jeder in BGF investierte Dollar führte zu einer Kostenersparnis von $ 1,38.
Renditen von knapp 40% sind etwas, wonach sich fast jeder Unternehmer sehnt. Nur im Universum der BGF-Anbieter meint man offensichtlich, mit Nettorenditen punkten zu müssen, die gleich ein bis zwei Größenordnungen über dem Üblichen liegen.
Das oben beschriebene Bias treibt selbst in renommierten Institutionen erstaunliche Blüten.
So hat das Harvard Work, Family, and Health Network die STAR-Intervention zur Work-Family Balance entwickelt und über 18 Monate in einer IT Firma getestet. Als Ergebnis wurde ein ROI von 1,68 präsentiert [9].
Vernachlässigt wurde allerdings, dass dieser ROI nicht statistisch signifikant war. Das Konfidenzintervall reichte von -8,85 bis +9,47.
Beim Gütesiegel „Harvard“ sollte man Nibelungentreue zur statistischen Signifikanz erwarten dürfen. Auch dann, wenn 3 der Autoren als Ko-Designer des Programms ein offensichtliches Bias haben.
Aber negative oder Null-Resultate gefährden halt den Fluß der Fördermittel. Und aus denen werden die Gehälter bezahlt.
Bei vielen anderen Programmen ist es ähnlich schlecht bestellt um den ROI.
- Übergewicht: Das „Alife@Work“ Lifestyle Beratungsprogramm für übergewichtige Beschäftigte erwies sich als kostenunwirksam [10].
- Depression und Angststörungen: MoodGym erwies sich als wenig wirksam sowohl für die Nutzer als auch für das Unternehmen [11].
- Achtsamkeitstraining als Wellnessprogramm: nahezu wirkungslos für die teilnehmenden Beschäftigten und keine Kosteneinsparungen für das Unternehmen [12].
- Prävention muskuloskeletal bedingter Ausfallzeiten: das in einer Baufirma getestete Präventionsprogramm erwies sich als wirtschaftlich unwirksam [13].
- Yoga als Wellness Programm: Vorhaltung eines on-site Yoga Programms hatte keinen Einfluss auf Produktivität, Ausfallzeiten und andere ROI-maßgebliche Parameter [14].
- Mehrkomponenten Wellness Programm: keine klinisch oder wirtschaftlich relevanten Verbesserungen [15].
Sollen wir die BGF also ganz abschreiben?
Nein, keineswegs. Was mich an der ROI-Argumentation stört, ist, dass sie den Unternehmer unverschuldet in die Defensive treibt. Nach dem Motto: Wie kannst du dich bei diesen Renditen der Gesundheitsfürsorge für deine Beschäftigten verschließen?
Und schon werden Hals-über-Kopf wissenschaftsbefreite Alibi Programme eingeführt, mit denen lediglich Geld verbrannt wird, das bei klarem Denken viel wirkungsvoller eingesetzt werden könnte.
Der ökonomisch einigermaßen versierte Unternehmer nennt das Opportunitätskosten — der Nutzen, der dem Unternehmen entgeht, weil die gewählte BGF-Investition es der Möglichkeit beraubt, die erforderlichen Mittel anderweitig Ertrag-bringend einzusetzen.
Verschlimmert wird diese Situation durch die Entscheider und Meinungsmacher in Politik und Gesundheitswesen.
Sie versuchen mehr und mehr auf die Unternehmen abzuwälzen, worin sie selbst bislang kläglich versagt haben: die Mehrheit der Menschen zu einem gesünderen krankheitspräventiven Lebensstil zu bewegen.
Wie man das ausgerechnet im betrieblichen Setting doch noch schaffen kann ist Thema des nächsten Teils dieses Artikels.
Dort stelle ich die drei außergewöhnlichen Elemente einer Gesundheitsförderung vor, deren kreativ unkonventionelle Kombination die BGF nicht nur wirksam macht, sondern auch nur dort Kosten entstehen lässt, wo sie wirken.
Spoiler-Alarm: das ranzig gewordene Arsenal dröger Yoga-Kurse, Aktionstage und Obstkorbstrategien gehört nicht dazu.
Ach ja, selbst das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz fand die Idee innovativ und förderwürdig.
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ReturnOnInvestment
Referenzen
[1] Kramer I, Bödeker W. Return on Investment im Kontext der betrieblichen Gesundheitsförderung und Prävention 2008:1–39.
[2] Aldana SG. Financial impact of health promotion programs: A comprehensive review of the literature. Am J Heal Promot 2001;15:296–320. doi:10.4278/0890-1171-15.5.296.
[3] Fries JF, Bloch DA, Harrington H, Richardson N, Beck R. Two-year results of a randomized controlled trial of a health promotion program in a retiree population: the Bank of America Study. Am J Med 1993;94:455–62. doi:10.1016/0002-9343(93)90078-4.
[4] Nieste I, Franssen WMA, Spaas J, Bruckers L, Hans HC, Savelberg M, et al. Lifestyle interventions to reduce sedentary behaviour in clinical populations : A systematic review and meta-analysis of different strategies and effects on cardiometabolic health. Prev Med (Baltim) 2021;148:106593. doi:10.1016/j.ypmed.2021.106593.
[5] Song Z, Baicker K. Effect of a Workplace Wellness Program on Employee Health and Economic Outcomes: A Randomized Clinical Trial. JAMA – J Am Med Assoc 2019;321:1491–501. doi:10.1001/jama.2019.3307.
[6] Thonon F, Godon-Rensonnet A-S, Perozziello A, Garsi J-P, Dab W, Emsalem P. Return on investment of workplace-based prevention interventions: a systematic review. Eur J Public Health 2023:ckad092. doi:10.1093/eurpub/ckad092.
[7] van Holland BJ, Reneman MF, Soer R, Brouwer S, de Boer MR. Effectiveness and Cost-benefit Evaluation of a Comprehensive Workers’ Health Surveillance Program for Sustainable Employability of Meat Processing Workers. J Occup Rehabil 2018;28:107–20. doi:10.1007/s10926-017-9699-9.
[8] Unsal N, Weaver GL, Bray J, Bibeau D. A Scoping Review of Economic Evaluations of Workplace Wellness Programs. Public Health Rep 2021;136:671–84. doi:10.1177/0033354920976557.
[9] Barbosa C, Bray JW, Dowd WN, Mills MJ, Moen P, Wipfli B, et al. Return on Investment of a Work–Family Intervention. J Occup Environ Med 2015;57:943–51. doi:10.1097/jom.0000000000000520.
[10] Gussenhoven AHM, van Wier MF, Bosmans JE, Dekkers JC, van Mechelen W. Cost-effectiveness of a distance lifestyle counselling programme among overweight employees from a company perspective, ALIFE@Work: A randomized controlled trial. Work 2013;46:337–46. doi:10.3233/WOR-121555.
[11] Phillips R, Schneider J, Molosankwe I, Leese M, Foroushani PS, Grime P, et al. Randomized controlled trial of computerized cognitive behavioural therapy for depressive symptoms: Effectiveness and costs of a workplace intervention. Psychol Med 2014;44:741–52. doi:10.1017/S0033291713001323.
[12] van Dongen JM, van Berkel J, Boot CRL, Bosmans JE, Proper KI, Bongers PM, et al. Long-Term Cost-Effectiveness and Return-on-Investment of a Mindfulness-Based Worksite Intervention. J Occup Environ Med 2016;58:550–60.
[13] Hengel KMO, Blatter BM, van der Molen HF, Bongers PM, van der Beek AJ. The effectiveness of a construction worksite prevention program on work ability, health, and sick leave: results from a cluster randomized controlled trial. Scand J Work Environ Health 2013;39:456–67.
[14] Strijk JE, Proper KI, van Mechelen W, van der Beek AJ. Effectiveness of a worksite lifestyle intervention on vitality, work engagement, productivity, and sick leave: results of a randomized controlled trial. Scand J Work Environ Health 2013;39:66–75.
[15] Song Z, Baicker K. Health and economic outcomes up to three years after a workplace wellness program: A randomized controlled trial. Health Aff 2021;40:951–60. doi:10.1377/hlthaff.2020.01808.